Die Selbstverwaltung

Interview mit den Vorsitzenden des Verwaltungsrates des BKK Landesverbandes Mitte

Dr. Wolfgang Hoffmann, mkk – meine krankenkasse und Roland Brendel, BKK Pfalz

Dr. Wolfgang Hoffmann
mkk – meine Krankenkasse

Roland Brendel
BKK Pfalz

Bei den Ausgaben für das Gesundheitswesen belegt Deutschland einen Spitzenplatz, bei der Gesundheit der Bevölkerung spielen wir eher im Mittelfeld. Warum gelingt es uns trotz steigender Kosten für die medizinische Versorgung nicht, die Gesundheit auf Dauer zu verbessern?
Es gibt viele Faktoren, die Gesundheit ausmachen. Die medizinische Versorgung ist nur ein Teil davon. Auch die übrigen Sozialausgaben und die Qualität des Bildungssystems haben großen Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden. Und dann investieren wir im deutschen Gesundheitswesen sehr viel Geld in veraltete Strukturen. Viele Behandlungen, die in anderen Staaten längst ambulant gemacht werden, erledigen wir in der Bundesrepublik immer noch in den Krankenhäusern. Dafür braucht es Personal und Infrastruktur, und das kostet eben.

Wenn bekannt ist, was Gesundheit ausmacht – warum reagiert die Politik dann nicht?
Das Thema Gesundheit ist in der vergangenen Dekade aus dem politischen Blickfeld geraten. Umweltschutz, Energiewende, militärische Konflikte in Europa – das sind die täglichen Themen, die die Politik besetzen muss, wenn sie gewählt werden will. Dazu kommt, dass die Veränderungsprozesse im Gesundheitswesen sehr langwierig sind. Heute fehlen uns die Hausärzte, die wir vor zehn Jahren nicht ausgebildet haben. Heute überholen uns die Kosten für die Krankenhäuser, die wir vor 20 Jahren nicht umstrukturiert haben. Für das politische Überleben brauchen die Entscheidungsträger wahrnehmbare Erfolge ihrer Gesetzesvorhaben. Im Gesundheitswesen werden wahrscheinlich erst die Nach-Nachfolger der aktuellen Gesundheitspolitik von Reformen profitieren.

Warum sollten sich dann politische Entscheidungsträger in diesem Themenfeld engagieren?
Dazu sollte man sich vor Augen führen, über welche Dimensionen wir reden. Das Gesundheitswesen ist der größte Ausgabeposten: 2024 haben wir bei den Gesundheitsausgaben die 500-Milliarden-Euro-Marke überschritten. Aber: Das System ist auch der größte deutsche Arbeitgeber. Jeder sechste Erwerbstätige arbeitet mittlerweile im Gesundheitswesen, das sind etwa 7,7 Millionen Beschäftigte. Vor zehn Jahren waren es noch 1,1 Millionen weniger. Wir reden also über Millionen von Wählerstimmen. Und wir reden über Arbeitsplätze, die nicht einfach nach Osteuropa oder Asien verlegt werden können wie etwa die Taktstraßen der Industrie. Gesundheitsversorgung muss wohnortnah organisiert werden.

Wenn die Politik trotz guter Gründe das Thema Gesundheit nur zögerlich angeht, wie könnte man die Entscheidungsträger besser unterstützen?
Genau das ist die Aufgabe der Selbstverwaltung. Wir kennen das System, denn es ist unser System, das wir mit unseren Versicherungsbeiträgen bezahlen. Wir kennen auch die Bedarfe unserer Versicherten und können maßgeschneiderte Versorgungskonzepte anbieten. Darüber hinaus sind die Selbstverwalter meistens deutlich länger im Geschäft als die Politik, bei der alle vier oder fünf Jahre nach Bundes- oder Landtagswahlen die Akteure und die Vorzeichen wechseln. Und: In Zeiten des politischen Stillstandes sorgen wir dafür, dass das System handlungsfähig bleibt. So hat beispielsweise nach dem Ende der Ampel-Koalition die Selbstverwaltung die Versorgung der Versicherten weiter organisiert. Das gibt dem Gesundheitswesen die notwendige Stabilität.

Man hört aber auch Kritik an der Selbstverwaltung: Beschlüsse würden zu lange dauern, und moderne Technologien kämen nur verzögert zum Einsatz.
Viele Aufgaben hat die Selbstverwaltung bereits geräuschlos gelöst, bevor die Politik überhaupt auf das Thema aufmerksam geworden ist. Schon seit vielen Jahren können BKK-Versicherte ihre Quittungen über ihre Krankenkassen-App einreichen. Sie können ihre wichtigsten Angaben wie Adresse oder Bankverbindung selbst digital ändern. Die BKK haben dazu virtuelle Geschäftsstellen eingerichtet. Wir haben interne Prozesse und Zahlungsabläufe erst standardisiert und dann digitalisiert. Wenn bei unserer BKK-Arbeitgeberversicherung ein digitaler Antrag eingeht, wird dieser digital geprüft und im Normalfall bereits nach drei Minuten digital bezahlt, ohne dass die Sachbearbeiter aktiv werden müssen. Für all das haben wir keine Aufforderung von der Politik gebraucht. Wir haben es einfach gemacht.

Welche Perspektive hat dann die Zusammenarbeit der Politik mit der sozialen Selbstverwaltung?
Wir müssen wieder dichter zusammenrücken. Die Probleme im System werden wir nur gemeinsam lösen können. Dafür wünschen wir uns wieder einen intensiveren Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern. Manchmal scheitert es schon daran, dass unsere Vorschläge einfach kein Gehör finden. Siehe Bürokratieabbau: Wir kennen unsere Prozesse selbst am besten und wissen selbst am besten, wie wir sie optimieren können. Die Politik kann da bestenfalls von außen drauf schauen.

Welche Baustellen würden Sie – im Idealfall im Schulterschluss mit der Politik – als Nächstes angehen wollen?
Wir brauchen wieder einen respektvollen Umgang der Politik mit der Selbstverwaltung. Immerhin üben wir unsere Funktionen ehrenamtlich aus, unterliegen aber immer restriktiveren gesetzlicheren Vorgaben. Beispielsweise dürfen die Mitglieder der Verwaltungsräte der Medizinischen Dienste (MD) nur zwei Ehrenämter ausüben. Erst einmal findet man dadurch immer schwieriger Personen, die bereit sind, sich dieser Verantwortung zu stellen. Und anstatt von einer größeren Vernetzung zu profitieren, verhindert man so auch Synergieeffekte. Zudem dürfen Selbstverwalter der MD maximal zwei Legislaturperioden gewählt werden. Wir haben viele Ehrenamtliche, die ihre Funktion gern weiter ausüben würden, aber gezwungenermaßen aus dem Amt scheiden müssen.

Welche Vorschläge könnte der BKK Landesverband Mitte der Politik anbieten?
Unser Verband steht für Vielfalt und Wettbewerb. Wir bündeln die Interessen von 70 Betriebskrankenkassen und sind regionaler Vertragspartner gegenüber den Leistungserbringern. Wir können auf einen Pool von zahlreichen innovativen Versorgungskonzepten in neun Bundesländern zurückgreifen. Für viele Versorgungsprobleme gibt es bereits Lösungen, aber es sind meist Insellösungen. Die könnten wir gemeinsam mit der Politik zu Lösungsansätzen für strukturelle Probleme weiterentwickeln.